BZ- Interview mit Zellbiologen Christoph Handschin über Muskelschwund als wichtigsten Faktoren, der die Lebenszeit begrenzt.
Neben der Neurodegeneration ist vor allem die Sarkopenie, der Abbau von Muskelmasse und Muskelkraft im Alter, verantwortlich, dass Menschen unselbstständiger werden, ins Heim müssen, und vergleichsweise wenige Menschen 100 Jahre alt werden. Otto Schnekenburger sprach hierüber mit Christoph Handschin, der im Biozentrum der Uni Basel zum Thema forscht.
BZ: Herr Handschin, von der Sarkopenie ist fast jeder Mensch betroffen?
Handschin: Ja, im alter zwischen 30 und 40 Jahren fängt ein Mensch an, Muskelmasse und vor allem Muskelkraft zu verlieren. Bei den meisten Personen erreicht die Entwicklung irgendwann den Punkt, an dem sie sich lebenseinschränkend auswirkt. Sie können nicht mehr einkaufen, nicht mehr Treppensteigen. Oft kommt es zu einem Sturz und in Zusammenwirkung mit der Osteoporose, dem Knochenschwund, gerne zu einem Oberschenkelhalsbruch. Im Spital setzt sich der Muskelschwund fort, das ist ein Teufelskreis.
BZ: Ist der Oberschenkelhalsbruch der große Einschnitt, gibt es heute nicht bessere Möglichkeiten der Rekonvaleszenz?
Handschin: Der Abbau von Muskeln kann verlangsamt oder sogar umgekehrt werde, das gilt auch für die Erholung nach einem Bruch. Die Sportmedizin in Basel etwa entwickelt Trainingsmöglichkeiten für alte Menschen, um die Muskelmasse nach solchen Operationen wieder aufzubauen.
BZ: So lange wie möglich Sport zu treiben, auch intensive Einheiten, kann dies den Alterungsprozess aufhalten?
Handschin: Die Ursache für Sarkopenie kennen wir immenroch kaum. Es ist aber sicher, dass sie bei jedem Menschen mehr oder weniger ausgeprägt stattfindet. Es gibt auch keine Medikamente gegen sie. Aber Sport kann ihr entgegenwirken. Es ist nur zu spät, um damit anzufangen. Wir forschen mittels Ausdauer- und Muskelkrafttraining mit Mäusen und sehen, dass die Tiere auch mehr Balance und Koordinationsfähigkeit zurückgewinnen.
BZ: Haben Menschen alleine aufgrund ihrer Muskelmasse so etwas wie eine „Ablaufzeit“? Verschiebt sich diese auch?
Handschin: Das ist die Frage, die gerade sehr heiß diskutiert wird. Es gibt Forscher, die von so einer „Ablaufzeit“ sprechen. Andere denken, dass dies sich verändernden Bedingungen unterworfen ist und sich nicht allgemeingültig definieren lässt. Interessant ist, dass der progressive Abbau von Muskelmasse zwar bei den meisten Menschen zum Problem wird, bei anderen nahezu überhaupt nicht. Sie sind fast bis an Ihr Lebensende mobil.
Quelle: Badische Zeitung von Montag, 13. August 2021